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Mit der App in die Armut
Fast immer billiger als ein Taxi: Minutenschnell lassen sich via Mobiltelefon bei Plattformanbietern wie Uber Fahrten buchen. In deutschen Großstädten wie Berlin, Düsseldorf oder Frankfurt / Main sind immer mehr dieser Fahrzeuge zu sehen. Doch der Konkurrenzkampf wird auf dem Rücken der Fahrer ausgetragen. Diese arbeiten für Mietwagenfirmen, die die Fahrdienstleistungen erbringen. Ein Gutachter kommt in einem Konzeptpapier für eine deutsche Kommune zu dem Ergebnis, dass das App-Modell für Mietwagenunternehmen legal kaum wirtschaftlich tragfähig sein kann. Auch Berechnungen von Kontraste und rbb24 Recherche aufgrund der Einnahmen eines Fahrers wecken Zweifel hieran. Überzogene Vermittlungsgebühren der Plattformbetreiber fressen die ohnehin schmalen Gewinne der Mietwagenunternehmen auf. Gespart wird dann am Ende an Löhnen und Sozialversicherungen. So stellt die Berliner Finanzkontrolle Schwarzarbeit bei ihren Kontrollen regelmäßig Mindestlohnvergehen und Arbeitszeitverstöße gegenüber den Fahrern fest.
Anmoderation: So komfortabel wie Taxifahren - so günstig wie selbst hinterm Steuer sitzen. Das versprechen Fahrdienst-Apps wie Uber. Gemeinsam mit den Kolleginnen von rbb24-Recherche haben wir herausgefunden: Das Geschäft rechnet sich nicht - zumindest nicht für die Fahrer. Die werden zwar oft als "Uber-Fahrer" bezeichnet - tatsächlich aber sind sie bei einer der unzähligen Mietwagenfirmen angestellt, die unter dieser Flagge fahren. Die günstigen Fahrpreise lassen sich nur halten, weil bei ihnen gespart wird.
Zollkontrolle von Chauffeurdienstleistern in Berlin. Es geht um mögliche Schwarzarbeit. Wichtig für die Prüfung: die Arbeits-Smartphones der Fahrer. Einnahmen, Routen, Fahrzeiten – all das dürfen die Kontrolleure auslesen.
Zoll
"Und was machst du da?"
Dieser Fahrer will sein Smartphone nicht zeigen.
Fahrer
"Sie dürfen nicht mein Handy!"
Zoll
"Dann entsperren Sie das Handy und wir gucken selber rein. Wir wollen es nicht mitnehmen, wir wollen nur mal reingucken.”
Fahrer
"Nein, nein ich gebe nicht mein Handy."
Zoll
"Dann ist das Problem..."
Fahrer
"Sie können mich anklagen!"
Zoll
"Wir wollen uns ja vernünftig die Geschäftsunterlagen angucken."
Die Fahrer, die hier kontrolliert werden, nutzen Vermittlungs-Apps, um an Fahraufträge zu kommen. Diese Apps protokollieren Einnahmen und Einsatzzeiten.
Zoll
"Sie sagten, am 1.7. war ihr erster Tag?"
Die Zollbeamten prüfen nun, ob die Aussagen der Fahrer und Fahrerinnen mit den Daten übereinstimmen.
Zoll
"Das ergibt nicht ganz Sinn, was Sie mir gesagt haben und was ich im Handy gesehen habe."
Die meisten Fahrer arbeiten für Mietwagenfirmen. Doch Kontrollen zeigen: Viele von ihnen sind gar nicht regulär beschäftigt.
Axel Osmenda, Finanzkontrolle Schwarzarbeit Hauptzollamt Berlin
"1/3 wird legal gearbeitet, 1/3 wird letztendlich Leistung vom Jobcenter bezogen und 1/3 wird voll schwarzgearbeitet."
Einer, der für so eine Mietwagenfirma in Berlin fährt, ist Ahmed. So nennen wir unseren Informanten, um ihn zu schützen. Er nutzt mehrere Vermittlungs-Apps.
Offiziell zahlt sein Arbeitgeber – die Mietwagenfirma – Mindestlohn, Sozialabgaben, Urlaubsgeld, Krankengeld. Zumindest laut Lohnbescheinigung. In Wirklichkeit, berichtet Ahmed, laufe es ganz anders.
Ahmed, Mietwagenfahrer
"Wenn wir zum Beispiel krank sind, bezahlen sie uns nichts. Mein Chef kündigt mir dann. Dann bin ich raus. Das gleiche gilt, wenn ich Urlaub mache. Oder er macht mit… Dann bin in meiner Heimat und mache Urlaub und er überweist trotzdem mein Gehalt auf mein Konto. Dieses Geld muss ich ihm aber cash zurückzahlen, wenn ich wieder zurück bin. Für die Stadt, die Behörden, sieht aber alles ganz normal aus."
Ahmed fährt hauptsächlich mit der App von Uber, einer Vermittlungsplattform aus den USA. In Deutschland ist Uber der Marktführer. Hierzulande wickelt der Konzern sein Geschäft über einen Generalunternehmer ab: den Limousinendienst "SafeDriver Group".
SafeDriver vergibt Fahraufträge an Mietwagenfirmen – diese leiten sie an ihre Fahrer weiter. Alles läuft über eine App, über die Fahrgäste an die Fahrer vermittelt werden. Die Preise sind günstig, liegen häufig unter dem Taxitarif. Für Kundinnen und Kunden ein Vorteil, für Fahrer wie Ahmed ein Problem.
Er sagt, er bekomme seinen Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde nur dann, wenn sein Chef mit seinen Einnahmen zufrieden sei. Oft fahre er deshalb sogar länger, um die von seinem Chef gewünschten Erlöse zu erzielen – manchmal bis zu 10 Stunden am Tag. Wenn die Einnahmen nicht reichten, müsse er später einen Teil seines Lohnes zurückgeben – am sogenannten Zahltag.
Ahmed legt uns eine WhatsApp-Nachricht vor, mit der ihn sein Chef einbestellt.
"Montag ist Abrechnung […] in unserem Büro."
Ahmed, Mietwagenfahrer
"Jeder Fahrer muss dort hingehen, die App, die Quittungen vom Tanken und das Bargeld zeigen.”
Wir treffen einen zweiten Informanten, nennen ihn Yasin. Auch er fährt für eine Mietwagenfirma, die Uber nutzt. Und auch Yasin sagt: Sein Chef bezahle ihn nicht nach der Arbeitszeit, sondern nach den Fahrteinnahmen – am "Zahltag".
Yasin, Mietwagenfahrer
"Ich habe ihn in einem Auto auf einem Parkplatz getroffen. Da hat er mir mein Geld für ein, zwei Wochen Arbeit ausgezahlt und dann habe ich ihm gesagt, dass ich das so nicht mehr will."
Uber Deutschland teilt auf Anfrage mit, die Mietwagenfirmen seien sogar vertraglich verpflichtet, gesetzestreu zu handeln: “Wenn sie sich nicht an die Regeln halten und wir davon Kenntnis erlangen, ziehen wir entsprechende Konsequenzen, bis hin zu einer Sperrung auf unserer Plattform."
Thomas Mohnke leitet die SafeDriver Group, an die Uber die Verantwortung für die Abwicklung seines Deutschland-Geschäfts übertragen hat. SafeDriver hat eigene Fahrzeuge, die für Uber fahren – versorgt aber vor allem die Mietwagenfirmen mit Fahraufträgen.
Mohnke gibt zu: Unter den Mietwagenfirmen gebe es auch "schwarze Schafe".
Autorin
"Bringen Sie das dann doch zur Strafanzeige?"
Thomas Mohnke, Generalunternehmer Uber Deutschland
"Das ist nicht unsere Aufgabe, sondern das sind die Sozialversicherungsträger oder die Finanzbehörden, die das zur Strafanzeige bringen. […] Die Beweislast liegt ja in der Tat beim Staat. Und der Staat muss prüfen, ob die Dinge zutreffend sind oder nicht. Und das kann ich gar nicht tun."
Mohnke sagt: Wer Hinweise auf Gesetzesverstöße habe, möge sich direkt an die Behörden wenden.
Blende
Doch die Behörden kommen kaum hinterher mit Prüfungen in der Branche: In mancher Großstadt sieht man die Mietwagen mittlerweile überall. Die niedrigen Fahrpreise von Uber und Co. verdrängen zunehmend Taxis. Beispiel Berlin:
In zehn Jahren verdreifachte sich die Zahl der Mietwagen hier auf 4437 – zugleich schrumpfte die Zahl der Taxis. In Frankfurt am Main gibt es mittlerweile sogar mehr Mietwagen als Taxis. Eine katastrophale Entwicklung, sagt Herwig Kollar, Präsident des Bundesverbands Taxi und Mietwagen e.V.
Herwig Kollar, Bundesverband Taxi und Mietwagen e.V.
"Zu den Konditionen, die jetzt angeboten werden von Uber und anderen, ist das nicht wirtschaftlich zu betreiben das Geschäft. Je weniger der Fahrgast bezahlt, desto weniger bekommt der Uber-Partnerbetrieb, desto weniger hat er Geld zur Verfügung, um die Fahrer entsprechend zu entlohnen."
Ahmed legt uns detaillierte Belege für die Fahrteinnahmen vor, die er für seinen Arbeitgeber – die Mietwagenfirma – erwirtschaftet hat. Ein ganzer Monat. Genutzt hat er in diesem Zeitraum Uber sowie eine weitere, kleinere Vermittlungsplattform.
Rund 200 Euro zahlten Kundinnen und Kunden am Tag im Schnitt für die Fahrten. Abzüglich Vermittlungsprovision und Umsatzsteuer bleiben dem Mietwagenunternehmer 116 Euro. Doch das reicht nicht einmal, um Ahmed den Mindestlohn und Lohnnebenkosten zu zahlen, geschweige denn für Sprit, Versicherungen und Autokosten. Das Fahren über die Vermittlungsplattformen – ein Verlustgeschäft.
Uber widerspricht und schickt uns eine eigene Beispielrechnung – mit Tageseinnahmen von 340 Euro. Nach Abzügen von Provision, Umsatzsteuer und Lohnkosten bliebe hier sogar ein Gewinn von 80 Euro für die Mietwagenfirma.
Doch so viel Geld, wie Uber angibt, werde selten eingenommen, sagen uns Fahrer bei unserer Recherche.
Kontraste und rbb24 Recherche liegt zudem das Konzeptpapier eines Gutachtens für eine Kommune vor. Darin enthalten: Auswertungen von mehreren zehntausend Uber-Touren in Nordrhein-Westfalen. Ergebnis der Datenanalyse: Die Mietwagenfirmen könnten dieses System nicht dauerhaft wirtschaftlich betreiben.
Laut Gutachten-Konzeptpapier bekämen die Fahrer häufig weniger als ihnen nach Mindestlohn zusteht. Mitunter arbeiteten sie sogar zwei- bis dreimal so lange wie bei der Sozialversicherung gemeldet. Die dort angegebenen Löhne seien zu großen Teilen fiktiv.
In Hamburg kommt man zu ähnlichen Ergebnissen. Die Hamburger Verkehrsbehörde teilt auf Anfrage von Kontraste mit:
"Bei Ausübung der taxenähnlichen App-vermittelten Mietwagenverkehre liegen (…) erhebliche Zweifel an einer zumindest kostendeckenden Betriebsführung vor, wenn alle abgabenrechtlichen (auch Mindestlohnvorschriften) und personenbeförderungsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden (...)."
Noch bevor Hamburg Mietwagenfirmen eine Genehmigung erteilt, fordert die Behörde einen Businessplan. Bis heute gibt es hier nur 15 Mietwagen, die für Uber und Co. fahren dürfen. Prekäre Arbeitsverhältnisse bei Fahrern in Hamburg offenbar undenkbar.
Welche Stellung die Fahrer der Mietwagenfirmen im System seiner Ansicht nach bekleiden, beklagt ausgerechnet der ehemalige Uber-Mitarbeiter Mark MacGann. Bis 2016 war er Lobbyist des Konzerns, später leakte er mehr als hunderttausend interne Dokumente an Medien.
Mark MacGann, ehemaliger Uber-Mitarbeiter
"Ohne Fahrer, keine Fahrt! Aber sie sind diejenigen, die alle Kosten, alle Verpflichtungen tragen. Sie haben nicht die gleichen Rechte und Privilegien, wie die anderen Glieder der Nahrungskette. Uber wurde nicht auf den Schultern der Fahrer aufgebaut, sondern auf dem Rücken der Fahrer. Heute sehen sie keine faire Gegenleistung für ihre Arbeit."
Ein System, an dem die Fahrer auch noch selbst mitwirken sollen, wenn sie ihren Job bei Mietwagenfirmen behalten wollen – wie eine Tonaufnahme unseres Informanten Yasin zeigt. Ein Gespräch mit seinem Chef:
Fahrer
"Du hast gesagt, die Probezeit läuft zwei Wochen und danach machst du die Anmeldung. Also können wir jetzt die Anmeldung machen?"
Chef
"Nein, ich mache keine Anmeldungen! Dann kommt das Finanzamt und die fragen so viel. Die ziehen so viele Steuern. Bruder, ich sage dir, ganz ehrlich, ich habe viele Fahrer. Die arbeiten schon seit sechs Jahren und die sagen bei Kontrollen immer - die arbeiten in der Probezeit."
Eine Geschichte, die hier auch den Berliner Zollbeamten bei ihrer Kontrolle aufgetischt wird:
Zoll
"Und jetzt hier […] erster Tag."
Fahrer
"Ja!"
Zoll
"Und Arbeitsvertrag? Working contract?"
Fahrer
"No."
Zoll
"Keiner? Okay."
Fahrer
"Probezeit! Das ist mein erster Tag."
Die Kontrolleurin lässt sich sein Smartphone zeigen und macht eine aufschlussreiche Entdeckung.
H. Appel, Zollamtfrau
"Ganz am Anfang hat er gesagt, das ist sein zweiter Probetag. Im Laufe der Befragung hat er dann aber auf den ersten Tag umgeswitcht. Und als wir uns dann die App angeschaut haben und die Fahrer-Daten einsehen konnten, war es tatsächlich ersichtlich, dass er schon seit einem Monat tätig ist.”
Missstände, die in Berlin keine Ausnahmen mehr sind. Sie sind die Regel.
Axel Osmenda, Fachgebietsleiter Finanzkontrolle Schwarzarbeit Berlin
"Ich würde schon sagen, dass wir uns hier im Bereich der organisierten Form der Schwarzarbeit befinden."
In Berlin betonte man in dieser Woche, Mietwagenfirmen würden künftig sorgfältiger geprüft - allerdings nur, wenn sie neue Fahrzeuge anmelden. Für Ahmed und seinen Arbeitgeber wird sich dadurch wohl erst einmal nichts ändern.
Ahmed, Mietwagenfahrer
"Ich möchte, das uns jemand hilft, dass man uns hört. Ich möchte eine legale Arbeit, wie jeder hier in Deutschland."
Beitrag von Jana Göbel & Susett Kleine
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